Einführungsrede von Manfred Nägele zur Eröffnung der Ausstellung von Johannes Pfeiffer ‚Gezeitenwende’ im Kulturforum Schorndorf


Erlauben Sie mir bitte, dass ich mit einigen persönlichen Bemerkungen beginne.
Ich möchte gerne vorausschicken, dass ich den Künstler des heutigen Abends, Johannes Pfeiffer, bereits seit einem halben Leben freundschaftlich kenne. Das soll mich seiner Arbeit gegenüber jedoch nicht befangen machen.

Nicht zuletzt ist Johannes Pfeiffer ein Urheber meiner Faszination für das Italien, wo die Kunst sehr lebendig ist, im Schatten der Apuanischen Alpen in der Versilia, mit einer Aura, die Johannes Pfeiffer als Mensch und Künstler geprägt hat.

Zwischen La Spezia und Viareggio, mit dem Zentrum Carrara, leben und arbeiten Künstler aus aller Herren Länder. Dort wird Marmor aus den Bergen gesprengt, gesägt und exportiert, aber auch in vielen Studios in Kunst verwandelt. Wie von einer Patina aus feinstem Mehl ist die ganze Landschaft mit feinem, weißen Marmorstaub bedeckt.

Dort hat schon Michelangelo die Steine für seine Skulpturen geholt, dort sind Arbeiten von Henry Moore entstanden, Botero lässt dort arbeiten usw. Und es gibt in der Versilia zahlreiche Gießereien für Bildhauer, die in Bronze arbeiten. Man trifft in der Frazione di Lucca Künstler aus allen Kontinenten.

In dieser animierenden Kunst-Landschaft habe ich vor einem guten Vierteljahrhundert auch Johannes Pfeiffer kennen gelernt und ihn seitdem nie mehr aus den Augen verloren.

Meine spontane Faszination für jenes italienische Kunst- und Künstlerbiotop ist seitdem geblieben. Es ist nicht ein einziges Jahr vergangen, in dem ich nicht nach Pietrasanta gepiltert wäre, nicht zuletzt um Johannes Pfeiffer und seiner Arbeit zu begegnen, bevor er dann nach Turin gewechselt hat.

Er lebte damals bescheiden in dem kleinen Bergdorf Monteggiori oberhalb von Pietrasanta und musste sich seinen Traum von einem künftigen Künstlerleben noch nebenher mit allerlei Gelegenheitsarbeiten verdienen, als Maurer, Taxifahrer, Kellner oder Lohnmatrose. Ein Traum, der in manchen Stunden auch zum Alptraum geworden sein dürfte.

Schon die ersten künstlerischen Experimente des Johannes Pfeiffer in Italien haben mich sehr interessiert und fasziniert. Sie offenbarten eine sehr individuelle und nirgendwo recht ableitbare Phantasie, den Einsatz von Materialien für Objekte, Installationen, Environments, konzeptuelle Projekte, in einer spannenden und oft auch im Wortsinn spannungsreichen Raumdimension.

Da hatte einer seine Thematik gefunden und seine sehr eigene Handschrift dazu entwickelt.
Der handwerkliche Umgang mit Stein, Holz, Eisen war ihm wohlvertraut. Johannes Pfeiffer hat mit der Hand am Arm, wie man im Schwäbischen sagt, mit allem gearbeitet, gemauert, betoniert, gesägt, gebogen, praktisch und zweckorientiert.

Dadurch hatte er sich das manuelle Know-how angeeignet, um Material auch anders als in einem üblichen Werkzusammenhang einzusetzen, es vielmehr als künstlerisches Vokabular zu nutzen.

In Johannes Pfeiffers Materialkanon tauchen von Anfang an und immer wieder zwei Werkstoffe auf, Ziegelsteine und Schnüre. Durch die Verbindung von beidem hat er in vielen Variationen seiner Arbeit eine Leichtigkeit des Scheins geschaffen und der Schwerkraft ästhetisch scheinbar ein Schnippchen geschlagen.

Ich erinnere mich noch gut und gerne an eine Arbeit, die er im Schatten des Schiefen Turms von Pisa gestaltet hat. Ein halbrund ausgeführter Turm aus mörtellos aufeinandergeschichteten Ziegelsteinen, die nur durch die an Ösen angebrachten Schnüre gehalten wurden.

Dieses hohle Halbrund wurde an den dünnen Seilen zentralperspektivisch von einem Metallring am Boden in einer parallelen Schräge zum Originalturm fixiert.

Jene „Soluzione lirica“ war damals ein origineller, künstlerischer Beitrag in Zusammenarbeit mit dem Goethe-Institut zur internationalen Diskussion über die Rettung des einsturzgefährdeten Schiefen Turms von Pisa. Sogar „DER SPIEGEL“ und das Fernsehen haben über Johannes Pfeiffers Weg weisende Vision berichtet.

Und so sehen wir auch heute in Schorndorf wieder Ziegelsteine und Schnüre, jedoch in einem völlig anderen Kontext. Pfeiffers Konstruktionen sind nie rein formal interessante Lösungen, sie bieten auch Raum für Spekulationen über einen darin verborgen enthaltenen mythischen, historischen, soziologischen oder philosophierenden Background aus der Phantasie des schwäbisch-grüblerischen Johannes Pfeiffer, in Ulm an der Donau, der Stadt des berühmten Flugpioniers „Schneider von Ulm“ und des nicht weniger berühmten Flugwesens, des Ulmer Spatzen.

Auch treten Johannes Pfeiffers speziell für einen Ort erdachten Arbeiten nicht selten in einen Dialog mit dem jeweiligen genius loci, hier etwa den reizvollen Ziegelbauten der Arnold’schen Fabrik nebenan, soweit sie noch erhalten sind.

Basis dieser Installation in Schorndorf sind ca. 40 Tonnen Sand auf 200 qm verteilt. Die feinen Mineralkörner, aus denen Sand besteht, sind eigentlich Symbol oder Metapher für Vergänglichkeit, als vom erbarmungslos geduldigen Zahn der Zeit zermahlener Fels und Stein, oder als unbarmherzig zeitmessendes Rinnsal in gläsernen Uhren.

Als Dünen wandert Sand durch die Wüsten der Welt und legt sich als gnädige Decke auf Spuren und Kadaver. Er bewahrt in den unendlichen Tonnen seiner Tiefen verborgene Relikte vergangener Zivilisationen vor den Augen der Archäologen für die Ewigkeit, die einzig der allem immanenten Vergänglichkeit trotzt.

In solchem Sand hat Johannes Pfeiffer hier seine Ziegelstein platziert, auch sie aus geformtem gebranntem Sand und in ihrer handwerklichen Bestimmung wiederum Symbol für menschliche Zivilisation.

In welligem Sand also scheinen Ziegelsteine zu versinken oder – in schönem Rhythmus aufzusteigen, je nach der Perspektive, die ein Betrachter einnimmt, eine Metapher für das ewige Entstehen und Vergehen.

Und die gespannten Schnüre – trotzt ihre Zugkraft nur eine zögernde Sekunde lang der Abdrift der Schwerkraft der Steine in die Dunkelheit im Sand, oder assoziieren die Fäden wie ein feiner Schnürlregen Hoffnung, etwa versandete Objekte zu halten, zu heben und zu bergen?

Oder symbolisieren die Schnüre gespannte Saiten, wie eine überdimensionale Harfe, auf der der Wind eine geheimnisvolle Weise anstimmen mag, ein monotones Summen vom Werden und Verwehen?

„Gezeitenwende“, schon der Titel der Arbeit assoziiert das Transitorische, also das immerwährende Wandern und Wandeln im Rhythmus einer unsichtbaren kosmischen Uhr.

Auch dieses künstlich-künstlerische Biotop in Schorndorf mit seiner hohen Investition in eine sorgfältige Gestaltung wird nach wenigen Wochen spurlos verschwunden sein und trägt somit die symbolisierte Vergänglichkeit immanent in sich. Gerade sie ist ein besonderer Reiz einer solchen Kunst, die, sub specie aeternitatis, ein minimales Verfallsdatum trägt.

Für mich korrespondiert eben dieser transitorische Charakter der Arbeiten von Johannes Pfeiffer mit der sympathischen Bescheidenheit seiner Person.

Er fordert für seine Konstruktionen nicht Dauer und Beständigkeit, er begnügt sich bei seinem Anspruch mit einer Sekunde der Ewigkeit und er weiß vielleicht, dass an den Orten, die er mit seinen Gestaltungen bespielt hat, etwas zurückbleibt an Erinnerung, ob im Kloster Eberbach, in San Ludovico in Parma, dem alten Bahnhof in Montevideo, der Zionskirche in Berlin, wo auch immer.

Vielleicht verlängern Sie, verehrte Gäste, für sich diese Ewigkeitssekunde in Schorndorf und behalten den heutigen Anblick in Ihrer Erinnerung, wenn Sie wieder in Ihrem Alltag angekommen sind.

Der Künstler wird wieder zurück sein in seiner italienischen Wahlheimat bei Turin, bei seiner Frau Maria und seinem Sohn Gabriel, den er hierher mitgebracht hat.

Für mich straft der Anblick von Johannes Pfeiffers „Gezeitenwende“ eine gängige Redewendung hierzulande Lügen. Wenn etwas in Sand gesetzt ist, weiß der Volksmund, ist etwas misslungen, hier im Kulturforum ist mit einer kalkulierten „In-Sand-Setzung“ etwas Faszinierendes gelungen.

Oder Sie halten es schlicht mit dem amerikanischen Künstler Donald Judd, der zur Zeit in Düsseldorf zu sehen ist, und der für die Betrachtung seiner Werke empfiehlt, „man sieht, was man sieht“.

Einige Arbeiten von Johannes Pfeiffer mit höherem Verfallsdatum können Sie nebenan auch noch erleben, ebenso wie die Werkschau aus drei Jahrzehnten von Hüseyin Altin im Skulpturenhof.

Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.