Textes
Dorothée Bauerle-Willert
Zu einigen Arbeiten von Johannes Pfeiffer
Nach einer Unterscheidung von Johann Gottfried Herder ist die Plastik "Wahrheit, die Malerei Traum: jene ganz Darstellung, diese erzählender Zauber". Die Plastik lebt also im wirklichen Raum, die Malerei im Vorgestellten, und dies bedingt auch, daß die Skulptur als dreidimensionaler Körper im Unterschied zur Malerei zu einer Ineinssetzung von Darstellung und Dargestelltem befähigt ist.
Solches Verschränktsein von Thema und Material findet sich in prägnanter Weise in der Arbeit 'Ost-West', die Johannes Pfeiffer für eine Ausstellung gleichen Titels im Mai/Juni 1989 - also noch vor dem Fall der Mauer - installiert hat. Zwei Wandfragmente aus einzelnen aufeinandergesetzen Ziegeln sind einander in bedrohlicher Neigung zugewandt. Jeder einzelne Ziegelstein wird - gerade noch - von einer Nylonschnur gehalten, die jeweils in einigen Metern Entfernung an einem im Boden eingelassenen Ring festgezurrt ist. Von den Mauerstücken, die in ihrer faktischen Präsenz sozusagen klassische Körper im Raum sind, geht also ein irisierendes Strahlenbündel aus, um sich am Fußboden zu fangen, eine transparente Struktur, die sich je nach Blickpunkt des Betrachters zu einer weißen Keilform materialisieren kann oder aber sich fast an die Grenze des Nichtsichtbaren hin auflöst. Zu der 'Gegenwärtigkeit' der Plastik und ihrer Bedeutung (die die Sache selbst ist), tritt also noch ein Drittes: Die Dimension der Zeit. Gotthold Ephraim Lessing hat in seiner Schrift "Laokoon oder über die Grenzen der Malerei und Poesie" die Bildende Kunst dem Raum zugeordnet, während die Poesie als eine Kunst der Handlung sich in der Zeit manifestiere. Aber Lessing fügt an: "Doch alle Körper existieren nicht allein in dem Raume, sondern auch in der Zeit. Sie dauern fort und können in jedem Augenblicke ihrer Dauer anders erscheinen und in anderer Verbindung stehen. Jeder dieser augenblicklichen Erscheinungen und Verbindungen ist die Wirkung einer vorhergehenden und kann die Ursache einer folgenden und sonach gleichsam das Zentrum einer Handlung sein". Die Spannung zwischen räumlicher Organisation des Kunstwerks und der Zeitlichkeit der Erfahrung, zwischen der statischen Ruhe des plastischen Körpers und seiner steten Veränderung durch die Bewegung des Betrachters durch das Spiel von Licht und Schatten, zwischen stillgestellter und fließender Zeit wird zu einem der wesentlichen Momente der Skulptur des 20. Jahrhunderts. Johannes Pfeiffer nimmt in seiner Arbeit 'Ost-West' diese Herausforderung auf und diskutiert neben der Bedeutungsebene - die brüchige, wankende Mauer zwischen den beiden Blöcken - Grundprinzipien der zeitgenössischen Plastik. Reflektiert ist auch die Auflösung der Indifferenz zwischen Idee und Material (wie sie etwa in der gegenständlichen, figürlichen Skulptur besteht) - und dies gleichsam durch das Thema hindurch: Eine Mauer ist eine Mauer. Doch wir assoziieren zugleich ein Vorher und ein Nachher. Vorstellbar wird über die Arbeit hinaus sowohl die intakte, solide Wand als auch der Zusammenbruch des Gefüges. Wie in einem Stillstand wird eine Zustandsaufnahme in den Status der Skulptur überführt.
Kam bei 'Ost-West' die Idee eher von außen durch das Thema der Ausstellung, die Künstler von beiden Seiten des 'eisernen Vorhanges' versammelte, so kommt bei der Installation 'Stellwände' in der Städtischen Galerie Tuttlingen 1993 der Werkanlaß sozusagen von innen, vom Ausstellungsraum selbst. Solche Stellwände sind das Requisit vieler Ausstellungssäle - normalerweise mehr oder weniger diskrete Diener, die möglichst hinter dem Bild verschwinden sollen. Bei Johannes Pfeiffer verwandeln sich diese Helfer zu den Protagonisten der Ausstellung. Wiederum fügt er dem Raum Wände ein, diesmal aus grauen Betonquadern zusammengesetzt. Und wiederum sind die Mauerstücke aus der Vertikalen gekippt, geht von jedem Steinelement eine Nylonschnur aus, die das Gesamte in der Schräglage und an der eigentlichen Wand des Ausstellungsraumes hält. Ein prekäres Spiel von Stabilität und Labilität entsteht - der Raum wird zugleich gegliedert wie auch als funktionell strukturierter aufgehoben. Der Betrachter, der sich in dem Ambiente bewegt, wird in seinem Gang immer wieder gebremst, durch die nicht immer auf den ersten Blick wahrnehmbare Nylonstruktur zu abrupten Richtungswechseln gezwungen. Zugleich stellt sich die Frage nach der ästhetischen Grenze des Kunstwerks: Die geschlossene Konturlinie, die nach Winckelmann das Wesen aller Plastik markiert, ist aufgehoben durch die gespannten Schnüre, Lineament oder eine Zeichnung im Raum an der Grenze zwischen Materialität und Verflüchtigung des Stofflichen. Es ist beides präsent: Die geschlossene Blockform, die den umgebenden Raum abstößt und die raumgreifende offene Form, die den Umraum nicht mehr nur als allgemeine Bedingung der skulpturalen Existenz fasst, sondern ihn - der nun kein jenseitiger mehr ist - inkorporiert und konstituiert. War 'Ost-West' noch ein metaphorisches Raumbild, so ist jetzt der Raum selbst das Thema und Material der Installation.
Zwischen Bild und Objekt changiert die Arbeit 'Bilder einer Ausstellung', die Johannes Pfeiffer 1993 in der 'Alten Wäscherei' in Offenburg realisiert hat. Bei einer Ortsbesichtigung der Räume war dort gerade eine Ausstellung mit Gemälden von Georg Karl Pfahler zu sehen. Pfeiffer hat die Größe der Bilder und ihre genaue Plazierung an der Wand vermessen und die Bilder dann als Ziegelbilder nachgearbeitet und wieder an ihren Ort gehängt. (Als Hängung funktioniert dabei wieder die Verankerung mittels Nylonschnüren, und die 'Bilder' sind leicht nach vorne geneigt, wie man es in manchen altertümlichen Galerien findet.) Auch hier rückt die (eine) Ausstellung selbst ins Zentrum. Irritierte die Installation der 'Stellwände' vor allem unsere Orientierung im Raum, so düpieren die 'Bilder einer Ausstellung' die herkömmlichen Erwartungen der Bildbetrachtung. Lebt eine Reihe von Gemälden doch auch - neben der Einzelheit jeden Bildes - von der Variation, von sei es auch noch so sublimer Modifikation der Fläche. Bei Pfeiffer dagegen wiederholt sich konsequent - wie in manchen minimalistischen skulpturalen Anordnungen - das immer wieder Gleiche, das Mauerstück. Zwar besteht auch hier das 'Bild' aus verschiedenen Elementen, doch diese Teile geben eine Entität, ein Ding und nicht wie das Tafelbild eine unbestimmbare Summe von Beziehungen. Und das Albertinische Fenster zur sichtbaren Welt, das die Malerei seit der Renaissance dem Blick öffnete, verschließt sich hier zur undurchdringlichen Mauer. Die verschlossene Wand ist Motiv und Technik. Doch geht es weniger um den - gleichwohl mitschwingenden - Symbolgehalt der Mauer, noch um eine zweite Realität hinter der Welt der Erscheinungen, sondern eher um eine listige Untersuchung von Sehgewohnheiten und Ausstellungsmodalitäten. Preziös ausgeleuchtet sehen wir doch nur eine ruhige Fläche - und wir wissen nicht einmal mehr, was wir sehen: ein Bild oder eine Skultpur? Und zugleich läßt die ruhige Reihung der Bilder, die wir gesehen haben, erinnern, greift voraus auf Bilder, die wir sehen werden.
Bei der Installation 'Säulenhalle', die Johannes Pfeiffer ebenfalls 1993 für die Reinhardtkaserne Ludwigsburg erarbeitet hat, sind nun die Ziegelsteine verschwunden. Ca. 1300 einzeln vom Boden zur Decke gespannte Nylonschnüre bilden 85 symmetrisch zu einem Mittelgang hin angeordnete Säulen und betonen solcherart die vorgefundene Architektur der Halle, die ebenfalls durch Trägerelemente gegliedert ist. Doch anstatt die Ordnung des Raumes zu festigen, Decke und Fußboden miteinander zu verbinden, entsteht wie im Paradox das Gegenteil. Der ganze Raum kommt in Bewegung, schwebt, vibriert. Oben und unten scheinen sich voneinander wegzubewegen, zu weiten und zu öffnen. Wie in einer Kathedrale, in der die Fenster das Licht bündeln, so evozieren die Nylonstrukturen auch hier den Eindruck von stoffgewordenem Licht, das unseren Weg leitet und rhythmisiert. Und wie in der Kathedrale bilden die Licht-Pfeiler Räume im Raum, die sich jedoch nie zu einem statischen Gefüge verhärten, sondern ein fließendes, schwingendes Raumkontinuum ergeben. Die eigentlichen - übrigens sehr dominanten, gelb und schwarz abgesetzten - Trägerelemente der Halle haben ihr filigranes Gegenüber gefunden, Schatten, Spiegel, Schleier. Ein komplexes Spiel von Anwesenheit und Abwesenheit entsteht, von Körperlichkeit und der Entgrenzung der Körperkontur. Wie eine Skizze, ohne Eigengewicht, fast immateriell spannen sich die Fäden dem Raum ein und sind doch unverrückbar da. Haben die vorhergehenden Installationen ihre Dimension auch aus dem Materialkontrast der schweren festgefügten Mauer, die ihrer Massivität zum Trotz zu schweben scheint und den transparenten Nylonschnüren, die Halt geben, bezogen, so verflüchtigt sich hier das Körpervolumen zum Raumzeichen. Anstelle einer kontextunabhängigen skulpturalen Erscheinung ist nun der umgebende Raum zum Objekt des gestalterischen Prozesses geworden. Solcherart formuliert Johannes Pfeiffer einen offenen Bezug, ein Wechselspiel von Artefakt und Umraum, von Kunstwerk und Betrachter - beides steht sich nicht mehr distanziert gegenüber, die Sphären greifen ineinander, nehmen einander auf, kommunizieren.
Die Environments von Johannes Pfeiffer sind - neben ihrer unmittelbaren, oft irritierenden Wirkung - immer auch Recherche der Grundprobleme heutiger Skulptur. Aufbrechen der Form, Aufgabe des Geschlossenen, Expansion in den Umraum, Einbeziehung des Betrachters in das Werk sind prinzipielle Kategorien des Mediums Skulptur im 20. Jahrhundert. Bei Johannes Pfeiffer sind sie noch einmal - und immer wieder neu - diskutiert. Doch die medialen Probleme werden nicht als trockene Exempel gestellt und untersucht, sondern schließen existenzielle Grenzerfahrungen ein: Momente der Unsicherheit, Stütze und Entgleiten, Verbindung und Halt, Zusammensein und Distanz, Ferne und Nähe.